mardi 27 octobre 2020

Der Albtraum

Wenn ein neues Leben auf die Welt kommt, oder ein Leben aus dieser Welt geht, sollte nicht die Welt inne halten, wie ein Zug anhalten, damit jemand ein- oder aussteigen kann? Sollte dieser Tag, oder diese Nacht sich nicht von allen anderen Tagen abheben? 

Es schien an diesem Tag weder die Sonne, noch war da eine Art Magie in der Luft, noch hielt die Zeit die Welt an sich zu drehen. Sollte es nicht ein paar Zeichen geben, wenn etwas Außergewöhnliches oder etwas Besonderes passiert? Brauchen Glück und Unglück keinerlei Zeichen?

Es war ein nebeliger, nasskalter Novembertag. Ein launischer Endherbsttag. Er nieselte seine Melancholie über die Landschaft.

Maré sah aus dem Fenster. Sie blickte auf den nebeligen weissgrauen Schleier der den frühen Morgen bedeckte. Diese Stille schien ihr unheimlich. Als würde alles Leben, alles Lebendige unter einer riesigen milchigen Masse liegen. 

Sie machte sich im Bad für den Frühdienst zurecht. Sie war angespannt, denn alles Neue machte ihr Angst. In Gedanken übte sie das Hantieren mit den Operationsinstrumenten. Sie weiß es, dass es sinnlose Zeitverschwendung ist. Das Üben, auch wenn es nur in Gedanken ist, gab ihr Sicherheit. 

Sie betrachtete ihr Spiegelbild. Mit hochgesteckten Haaren fühlte sie sich erwachsener. Zaghaft lächelte sie ihrem Spiegelbild zu. 

"Du bist blass. Solltest dich etwas schminken. Dezent versteht sich." schien ihr Spiegelbild zu sagen.

"Das wird nicht passieren." dachte sie. "Diese Kriegsbemalung stinkt wirklich als hätte man die Morgendusche ausgelassen." 

Sie blickte auf ihre schwarze Cordhose und entschied sich für einen schwarzen Pollover.

"Lady in black" spottete ihr Spiegelbild lautlos. Schwarz kann man zu jedem Anlass tragen und mit jeder Farbe kombinieren, wusste sie. Als hätte sie es geahnt, dass Traurigkeit sich mit ihrer Kleidung für lange Zeit kombinieren und für lange Zeit mit jeder Faser ihres Herzens verflechten wird.

Mituten später fuhr sie durch den dichten Nebel. Es sah aus, als würde man mit der Schere vorsichtig und gleichmäßig durch ein Tuch schneiden.

In der Klinik begrüßte sie ein paar Kollegen, nickte anderen zu, wechselte ein paar Worte mit den Schwestern. Scherzte mit einem Pfleger, der sie mit seiner frechen Art zum Lachen brachte.

OP- Besprechung.

Aufmerksam folgte sie den Vorbereitungen, telefonierte mit dem Labor, gab ein paar Anweisungen, bereitete sie sich im Waschraum für die bevorstehende OP vor, assistierte, nähte, wechselte die OP-Kleidung, assitierte bei der nächsten und übernächsten OP.

Endlich war der Arbeitstag geschafft.

"Kommst du mit?" fragte eine Assistentin, die sie seit der Uni kannte.

"Wohin denn? Ich bin müde! Ohne Mist, meine Beine schmerzen." dachte sie laut. "Ich mache wieder eine fiese Erkältung durch. Mit allem was dazu gehört."

"Deine Beine schmerzen? Solltest dich wirklich mal grünlich untersuchen lassen. Ich meine es ernst! Da steckt mehr dahinter." behlehrte sie eine befreundete Kollegin.

"Wenn es nicht besser wird, gehe ich zum Hausarzt. Versprochen!" Maré beeilte sich nach Hause. Das war das einzige Zeichen. Sie beeilte sich sonst nie.

"Maré komm mit uns saufen!"  Sieben Kollegen gesellten sich zu ihnen. "Komm, einen oder zwei Cappuccino sind doch noch drinnen!" versuchte sie Maré zu überreden. Die anderen stimmten ihr zu.

"Dein Handy klingelt." Ein Kollege zeigte auf ihren Rucksack.

Maré presste das Handy ans Ohr. Die Verbindung krachte und eine weibliche Stimme krächste und weinte an ihr Ohr.

Taubheit. Sie war urplötzlich vom Kopf bis zu den Füßen in einer unangenehme Taubheit gehüllt. Eine schmerzhafte Taubheit, wie es sich in den Fingern anfühlt wenn man den Gefrierschrank vom Resteis befreit, wenn man keine Geduld hat zu warten, bis er komplett abgetaut ist.

Die Kollegen starrten Maré erstaunt an. Sie blickte sie durch einen Tränenschleier an. Einen verrückten Moment lang dachte sie, sich hätte sich verhört. 

"Omi weint nicht einfach so grundlos!" schrie Maré laut. "Mama ist tot! Meine Mama ist tot!" schrie sie und sah viele Hände nach ihr greifen. Sie fühlte viele Hände die sie umarmten, die Haarsträhnen aus dem Gesicht wischten, die sie an den Händen festhielten. Hände und Arme die sie auf den Rücksitz meines Autos hievten. Ein Kollege der ihr Auto fuhr. Kolleginnen und Kollegen die auf sie einredeten.

In ihrer Wohnung angekommen kam sie zu sich. 

"Was für ein Albtraum!" schniefte sie. Sie erschrak als sie merkte, dass der Albtraum eine Realität war.

Sie sah mit ihren großen braunen Augen um sich. Draußen war es Nacht und drinnen brannte Licht. Alle sieben Kerzen am Kandelaber brannten und warfen Schatten an die himmelblaufarbene Wand.

Sie war allein.Sie lag auf der Eckcouch im Wohnzimmer. Selten legte sich sich auf die Couch. Allein im hellen elektrischen Kerzenlicht. Jemand hat der Kandelaber mit sieben Kerzen angeschaltet. Sie schaltete meistens nur das Nachtlicht an, bevor sie ins Bett ging. 

Sie sah sich um. Niemand war da. Die Katze schlief tief und fest in einem Sessel und schnarchte sogar leise. Nur die Traurigkeit war da, umarmte sie und drückte sie so fest, dass sie kaum noch atmen konnte.

Sie schrie und rang nach Luft. Sie weinte mit dem Regen der rhythmisch an das große Fenster prasselte, als würde er die Akkorde zu einem Lied schlagen. Sie schrie lautlos die Worte, den Text zum Leben das viel zu früh endete. Sie beweine ihre Maman. Sie schrie die Elegie aus dem Herzen. Dann schlief sie müde vom Weinen ein.


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