vendredi 6 novembre 2020

Die Partitur


Chaque matin elle laisse dans son lit ses rêves, 
se réveille et enfile sa robe de vivre.

Die Traurigkeit legte sich wie eine zweite Haut um sie und hielt darunter gefangen. Maré war unfähig sich der ganzen Welt zu stellen. Die logische Welt lenkte sie ab. In der Chirurgie hatte sie alle Hände voll zu tun und ihre Logik und Konzentration wurde gefordert. Doch ihre emotionale Welt funktionierte nicht. An freien Tagen, fiel ihr allein schon die Morgendusche schwer.
Das Leben ging weiter nur mit dem logischen Teil ihres Ichs.
Sie schleppte sich widerwillig zur Haustür. Sie lehnte für einen Moment ihre Stirn gegen die kalte Glastur und sah hinaus. Vor der Haustür spielte sich das Leben ab  - ohne sie. Sie schloss die Augen.
Dann richtete sie sich auf und strich sich ein paar wilde Locken aus dem Gesicht. Eine unwillkürliche Bewegung, denn es war ihr egal wie sie aussah. Den wilden Locken sah man nicht an, ob sie gekämmt oder ungekämmt waren.
Tränen schossen wie eine Quelle in ihre Augen und bahnten ihren Flusslauf über ihre blassen Wangen.
"Verdammt, ich bin nicht einmal in der Lage vor die Tür zu gehen, geschweige denn unter die Leute." seufzte.
Sie ging zurück in die Küche, öffnete den Kühlschrank. Gähnende Leere schlug ihr entgegen.
"Es reicht verdammt noch mal!" schimpfte sie in Gedanken. "Du kannst heulen oder lachen, du kannst die Welt auf den Kopf stellen, sie wird nicht vom Himmel auf die Erde fallen und weiterleben. Sie ist so was von tot. Also du gehst jetzt raus, kaufst dir Essen und Wasser und gibst deinem Leben Normalität und Sinn."
Maré öffnete die Haustür und staunte. Sie fühlte sich als wäre sie aus einem tiefen Winterschlaf erwacht. Sie hatte es satt, der Schwarz-Weiß-Musik des nicht gestimmten Klaviers der Traurigkeit zu lauschen. 
Es war Frühling und die die pastellfarbenen Farben hauchten der Leinwand der Natur neues Leben ein.
Maré nahm die Autoschlüssel von der Kommode im Flur und ihre Einkaufstaschen und fuhr zum Supermarkt in die Stadt.

Sie freute sich wieder auf die Frühlingsonate für ihr Klavier mit bunten Tasten.
Inspiriert von den Farben des Frühlinganfangs und vom milden Märzwind genoss sie jeden Tag eine neue Partitur meines Lebens in vollen Zügen.
Sie lief nicht achtlos durch das Leben sondern sie lief fröhlich aber auch nachdenklich durch den Frühling, achtete auf sich, flirtete, machte lange Spaziergänge, zwar nicht am Meer, sondern am Fluss. Sie ging unter Menschen. Sie genoss den Morgentau auf dem kruden pastellgrünen Gras.
Die weiß-schwarze Partitur des Trauers war vorbei, doch einen Hauch von Melancholie blieb.
Sie schrieb am Abend in ihr Journal:
"Die Traurigkeit ist vorbei. Ich werde dem Eiswinter vergeben, dass er die Bäume für mich in ein weißes Schneeblütenbrautkleid gehüllt hat, die für mich bereit waren ihre Knospen in einem pastellfarbenen Feuerwerk aufgehen und aufblühen zu lassen. Ich werde meine Herzfenster weit öffnen,  mich vom Frühling parfümieren lassen und den Duft in meine Sinne aufnehmen.
Ich werde intensiver, inniger und tiefgründiger lieben. Ich werde sensibler, besonnener und hilfsbereiter zu meinen Leben und meinen Lieben sein und sie beschützen wie ein Wildtier seine Brut beschützt.
Und ich werde genießen.
Ich bin bereit mich zu verlieben."
"Bist du nicht!" schrie ihr Herz.
Sie zog die Vorhänge zu, legte sich in ihr Bett und ließ den Raum in die Abenddämmerung versinken. Sie liebte es zuzusehen wie das warme Licht des Abend in die Nacht versinkt.
Ihre schwarze Katze, ein Geschenk ihrer Mutter gesellte sich mit einem lautlosen Satz zu ihr.
"Katzen können das was uns Menschen verwehrt bleibt: leise durchs Leben zu gehen." dachte Maré.
Katzen sind aufmerksam und rücksichtsvoll.
In der Stille der Nacht, ist es sehr schwer den Tag hinter sich zu lassen. Die Traurigkeit die sie immer noch fühlte versuchte sie Tag für Tag zu überwinden.
Am nächsten Morgen stand sie um 04:30 Uhr auf und ging arbeiten.

J'ébouriffe la nuit en cendres
comme si c'était ma dernière
ton absence est si loin à présent.
Alors je frissonne entre mes silences.




mardi 3 novembre 2020

Das Lied

Ihre Mutter wurde am zehnten Tag nach ihrem Unfalltod zu Grabe getragen. Um den Unfalltod zu untersuchen wurde eine Autopsie angeordnet. Multiples Organversagen. Die Nieren haben ihre Funktion eingestellt und somit das Blut und alle anderen Organe schleichend vergiftet. Sie sei am Steuer ohnmächtig geworden, hieß es in den Berichten.

Maré ahnte bei ihrem letzten Besuch und bei ihrer letzten Umarmung, dass ihre Mutter sich schon längst aufgegeben hatte. Die letzte Umarmung fühlte sich so kraftlos an, als würde das Leben schon schrittweise  aus ihrem Körper weichen.

"Wann begann das Leben aus ihrem Körper zu weichen? Wann hat sie sich entschlossen nicht mehr zu kämpfen?" fragte sich Maré als sie zwischen ihren Brüdern in der Trauerhalle des Friedhofs saß.

Es duftete nach Lavendel und Honig. Ihre Mutter liebte Lavendel über alles. Ihre Großmutter hatte bei der Friedhofsgärtnerei kleine Lavendelsträuße, die ins Grab geworfen werden, in Auftrag gegeben.

Maré ließ die Traueransprache des Priesters über sich ergehen. Die Psalmen und beschriebenen Szenen aus dem Leben ihrer Mutter erreichten weder ihr Herz noch ihre Gedanken. Die zweistündige Trauerfeier hatte sie im Laufe in stimmige innere filmähnliche Bilder verwandelt.

Ihre taumelnde, weinende, vor Trauerschmerz wimmernde Großmutter, die Mutter ihrer Mutter, fiel abwechselnd Maré und ihren Brüdern in die Arme. Obwohl Maré sich selbst kaum halten konnte, musste sie den Lebensgefährten ihrer Mutter auch noch stützen. 

Wie in Trance hörte sie die samtweichen, seidefeinen, liebevollen Worte ihres Papá's die an ihre Mutter adressiert waren. Sie fühlten sich warm an, wie eine Decke aus Schafwolle und Vogelfedern, als er die Liebe seines Lebens zum letzten Mal mit Worten zudeckte.

Sie hörte wie ihre Brüder mit zitternder Stimme über Erlebnisse aus dem Leben  bildlich sprachen. So viele schöne zarte und kräftige Farben in den Bildern.

Maré musste sich schnell zusammennehmen und ihre vom Weinen durchgewaschenen Stimmbändern zum sprechen bringen. Die Traurigkeit fühlte sich an wie ein aus Versehen verschluckten Bonbon in ihrem Hals an und schnürte ihr fast die Kehle zu.

"Löse den Knoten und sag was!" schrie sie sich in Gedanken an. "Man erwartet das von dir als einzige Tochter!"

Sie weinte lautlos und sie zitterte vor Kälte.

"Sag was!" flüsterte ihr Zwillingsbruder an ihr Ohr. Ihr größerer Bruder legte seinen Arm um sie. "Komm sag auch etwas!"

Maré sah durch den Tränenschleier auf den mit weißen Rosen und Lavendel umrahmten Sarg. Mit zitternden Fingern entfaltete sie ein tränennasses Blatt Papier auf dem sie ein paar Stichworte gekritzelt hatte und sagte:

"Mama, ich wollte dir noch sagen," sie sprach sehr leise. "Ich wollte dir noch über die Sterne in deinen Augen sagen, sie waren schön. Wenn du lächeltest, schien die Sonne, auch denn wenn die Welt im Regen unterging. Ich möchte dir noch über den Donner in deiner Stimme wenn du auf mich wütend warst sagen, er erschreckte mich sehr. Du wolltest es gut mit mir. Du duftetest immer nach Heublumen und frisch gemähtem Gras. Nach Sommerregen und Orange im Winter. Ich werde auch an die Tränen denken, die vor Freude und die vor Traurigkeit geweinten, wenn wir uns umarmten. Ich werde mich auch an deine Enttäuschung und an deinen Stolz auf mich erinnern. Und nun ja, ich werde oft auch an dein Verschwinden im Nebel denken. Dein Weggehen für immer. Ich kann dich nicht loslassen, so wie es andere tun werden, da sie sich einreden deiner Seele Frieden zu schenken, indem sie dich loslassen. Ich werde dich bestimmt urlange vermissen und Himmel und Erde in Herz und Gedanken in Bewegung setzen um dich lange bei mir lebendig zu halten."

Dann schwieg Maré. Sie blickte auf die Lavendelsträuße mit den weissen Rosen, auf den Fliesenboden, auf den gemusterten Teppich unter dem Sarg.

Der Friedhofsweg war gefühlte Ewigkeiten lang. Die Trauerprozession schien sich in Zeitlupe fortzubewegen. Das Grab, die ausgehölte Erde symbolisierte die Endlichkeit des Lebens. Erde die polternd auf den Sarg Sarg fiel, die kleinen Blumensträuße deren Blütenblätter abfielen, als sie auf den Erdkrumen aufschlugen fügten der Trauermusik noch ein paar Trauerakkorde hinzu. Weitere Erdkrumen fielen auf den Sarg und trennten Maré immer mehr von ihrer Mutter. Sie legte ihre weiße Rose auf den Erdhügel der einem riesigen Maulwurfhügel ähnelte. Wie ein weißer Violinschlüssel auf einem schwarzen Notenblatt lag die Rose da, als würde sie auf die Noten warten die sich zu einem Lied aneinander reihen. Maré starrte lange auf das Élégienotenblatt, bis jemand sie sanft an der Schulter berührte und ihr "Lass uns gehen!" zuflüsterte. Sie drehte sich um, hakte sich bei ihrer Großmutter ein und gemeinsam schleppten sie sich nach Hause.

Nach der Trauerfeier lag Maré in ihrem ehemaligen Kinderzimmer, bei brennendem Licht, dessen Schatten sich an den Wänden zeigte. Sie lag auf ihrem Jugendbett und starrte an die himmelblaufarbene Decke.

Es klopfte an der Tür. "Komm runter etwas esssen." sagte ihr Zwillingsbruder.

"Laaaaaassss mich in Ruhe!" schrie Maré.

Rotztropfen nennt man einen Tropfen unverteilter Farbe auf  Wänden oder auf  einer Leinwand. Sie musste lächeln, bei dem Gedanken, dass nichts im Leben perfekt ist.

Dann schlief sie ein.

"Du hast gesungen!" sagte ihre Großmutter am Frühstückstisch. "Sehr schön, aber ich habe nichts verstanden."  Maré erinnerte sich weder an das Lied noch an den Traum. 

Maré konnte sich weder an einen Traum, geschweige denn an ein Lied erinnern. Sie konnte sich nur noch daran erinnern, dass sie gefroren hat und sich in Decke und Überdecke eingewickelt hatte wie in einen Kokon.

"Du sitzt auf Mama's Platz schrie Maré ihren Zwillingsbruder an. Er tat so, als hätte er nichts gehört. Er war zu sehr mit seinen eigenen Gefühlen beschäftigt, um sich mit seiner Schwester zu streiten. Er setzte sich auf einen anderen Stuhl.

"Kinder, seid einfach still. Benimmt euch nicht wie Idioten. Ich brauche den Krieg zwischen euch hier  nicht. Seid friedlich!" schrie ihre Großmutter und klopfte mit der Faust auf den Tisch.

Die Stille danach war surreal.

Jeder flüchtete in seine eigene Trauer. 

Sogar die Katze fand keine innere Ruhe und rannte suchend im Haus herum. Trauernde Tiere benehmen sich ebenso so seltsam wie trauernde Menschen. Sie suchen lange nach dem geliebten Menschen.

Dehors, du soleil.
je m’habille de cendres.
Que savons-nous d'être vivant
quand le matin 
il nous faut tendre les mains
pour retenir la vie ?

Dans les  ténèbres  qui retiennent leur souffle

dans l’odeur de la nuit

on aimerait parfois s’endormir

et ne plus se réveiller

Un voyage sans retour

seul(e) à seul(e)

sur la piste des oiseaux.

Mais Dieu n’entend pas nos silences.

Alors, demain peut-être on caressera

l'ABSOLU.

S'il se laisse faire.


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