lundi 5 octobre 2020

Die letzte Umarmung

Maré klopfte drei Mal an die Küchentür.
"Endlich ist Maré da!" hörte sie die Stimme ihrer Großmutter rufen.Sie öffnete die Tür und umarmte stürmisch ihre Großmutter die für ihr Alter noch ganz flink auf sie zurannte.
"Sei nicht so wild mit mir, ich bin nicht mehr gut auf den Beinen." scherzte sie.
"Omiiiiii!" rief Maré aus und küsste sie heftig und laut auf beide Wangen. 
Ihre Mutter stand in einer hauchdünnen himmelblauen Seidenbluse und einer schwarzen Bundfaltenhose vor Maré und legte ihre zarten Arme um sie. "Schön dass du da bist!" sagte sie mit tränenverschleierten espressofarbenen Augen. Sie hatte die gleiche Augenfarbe und auch den gleichen gütigen und liebevollen Blick wie ihr Vater, wie Maré's Großvater.
"Herzlichen Glückwunsch zum bestandenen Examen!" sagten alle im Chor und es klang fast wie ein Kanon. Maré war mit ihren rationalen Gedanken und mit ihren Herzgedanken bei ihrer Mutter. Wärend Großmutter, der Lebensgefährte ihrer Mutter, zwei Tanten und zwei Onkel sie drückten und abknutschten als wäre sie ein Kuscheltier oder ein Quitschtierchen, dachte sie: "Sie ist regelrecht abgemagert, ausgelaugt und lebenleer. Merkt niemand etwas außer ich?"
"Merci!" sagte sie gerührt und fühlte wie sich ihr Gesicht puterrot färbte. Sie war verlegen, denn sie steht nicht gerne im Mittelpunkt.
"Seht euch das an!" rief ihre Mutter erfreut und ihre esspressofarbenen Augen sprühten goldfarbene Pünktchen. Wie Esspressolava in einer kleinen Tasse. Sie lachte nicht nur mit dem Mund, sondern mit dem ganzen Körper. Sie reichte die bordeauxrote Kunstledermappe mit den Diplom und den anderen Zeugnissen herum. Alle Augen waren stolz auf Maré gerichtet. "Ich wusste, dass sie es ausgezeichnet hinkriegt!" lachte ihre Patentante Hanna. Johanna, genannt Hanna. Sie war die älteste Schwester ihrer Mutter. 
"Nun ja, wenn man schon so viel Geld für ein Studium hinblättert, dann muss man es ja auch bravourös abschließen." scherzte Maré. "Es ist doch nur ein Diplom und eine Aprobation. Es gibt Wichtigeres im Leben als eine Mappe mit Zeugnissen. Ich habe doch noch ganze 4 Jahre vor mir. Erst dann kann ich endlich aufatmen!" Das meinte sie mit ernster Miene.
"Sag mal, kannst du dich gar nicht darauf freuen? Du bist doch nicht autistisch!" rief ihre Mutter und ihre Stimme klang enttäuscht. 
"Sie ist enttäuscht,  dass sie mich nicht so erziehen konnte, dass ich vor Begeisterung singe und tanze. Sie wusste, dass ich mich tief in meinem Herzen freue, dass alle Herzmeerwellen an den Herzhäuten brechen und mein Herz an meinen Rippenbogen schlägt wie an eine Küste. Sie konnte es nur nicht verstehen, dass ich diese Freude und dieses Glück nicht zeige. "dachte Maré.
"Aber ja, freue ich mich. Was soll ich jetzt tun? Radschlagen oder mich um die eigene Achse drehen?" lachte Maré.
"Nach dem Essen gibt es die Geschenke!" zwinkerte meine Mutter mir zu und setzte sich neben ihren Lebenspartner, den ich liebevoll Papá oder Pá nenne. 
"Es gibt so Vieles worauf sie alle stolz sein können. Sie haben noch zwei Söhne und von den beiden schon vier süße Enkelinnen geschenkt bekommen. Wieso sollte ich jetzt der Mittelpunkt sein?
Und wieso sind alle um mich herum versammelt, als wäre ich eine Göttin?" dachte ich.
Es gibt in Maré's Familie immer etwas zu feiern. Wenn es nichts zu feiern gibt, gibt es ein Familientreffen. Einfach so. 
Bon Jovi sang "Let It Rain". Maré's Mutter liebte Bon Jovi. Sie stand auf und stellte das Radio etwas lauter. 


Draußen regnete es nicht. Es war ein schöner sonniger Oktobertag mit vielen Rostfarben und mit einem  Ernteduft der Maré an frisch gebackenes Brot erinnert. Der Wind spielte mit den bunten Blättern. Er zupfte sie von den Bäumen, ließ sie ein bisschen durch die Luft segelnwie Papierflugzeuge, um sie anschließend in einem Blättertanz zu durchwirbeln und ließ sie dann zu Boden fallen. Ein Herbstabschlussball.

Es erinnerte Maré an ihren Abschlussball. Sie fremdelte. Obwohl sie fast alle Gäste kannte, fühlte sich sich fplötzlich fremd. Sie trug ein weinrotes langes Abendkleid. Ihre langen strubbeligen Haare hatte sie hochgesteckt und eine weinrote Blüte aus dem selben Stoff wie das Kleid zierte ihr Haar. Sie tanzte ein paar Pflichttänze mit ein paar Freunden und Kollegen und dann schlich sie sich zum Hinterausgang, offnete die Tür und rannte so gut sie mit zehn Zentimeter hohen Absätzen rennen konnte. Sie setzte sich ins Auto, schaltete ihr Handy aus, schlüpfte aus den roten Pumps, schleuderte sie unter den Beifahrersitz und fuhr nach Hause.

Sie warf mich auf mein Bett und schluchste in die Kissen.

Das Salz des Herzmeeres, das Salz der Tränen......es fehlen noch zwei Salze.....

"Ein Lebensabschnitt ist zu Ende und ein neuer beginnt." dachte sie und weinte sich durch das Ballende.

Der Abschlussball erinnerte sich an ihren achzehnten Geburtstag. Der Lebensgefährte ihrer Mutter, der ihr mehr Vater war, als ihr leiblicher Vater, bescherte sie mit einem rauschenden Fest. La Majorité ist ein wichtiges Fest und man bekommt eine gestrickte Mütze geschenkt. Sie bekam eine kirschrote Strickmütze aus feinem Mohairgarn geschenkt. Ihr Stiefvater tanzte mit ihr den Eröffnungswalzer. Er führte sie federleicht durch den ganzen extra für die Feier gemieteten Saal und die fühlte sich von ihm getragen. Sie sah sich in seinen Augen wie in einem Spiegel und entdeckte in seinen meerblauen Augen seinen ganzen elterlichen Stolz. Nur beim Abschlussball spiegelte sie sich in keinen Augen. Sie sah an ihren Tanzpartnern vorbei in den überfüllten Saal.



Das Salz des Herzmeeres, das Salz der Tränen......es fehlen noch zwei Salze.....
"Ein Lebensabschnitt ist zu Ende und ein neuer beginnt." dachte sie und weinte sich durch das Ballende. "Niemand hatte mich vermisst," stellte sie am nächsten Morgen fest.
Ein paar Augenblicke später laß sie sich durch 33 Nachrichten, 15 e-mails und entdeckte 9 verpasste Anrufe auf ihrem Handy.


"Du erzählst ja gar nichts vom Abschlussball!?" stellte ihre Großmutter fest. "Dein Kleid war so wunderschön, Bestimmt war es das Schönste."
"Omi, es waren viele wunderschöne Kleider dabei." sagte Maré schlicht. "Mein Kleid war schön, aber ich war froh, als es vorbei war."
"Du hast doch jetzt nichts anderes von ihr erwartet? Ein Dankeschön für das mit viel Mühe genähte wunderschöne  Kleid aus teurem Stoff? Dass sich meine Mühe für eine gute und respektvolle Erziehung hier zur Geltung kommt?" mischte sich ihre Mutter zynisch ins Gespräch. "Bestimmt stand sie irgendwo in der Ecke und stützte die Wand, damit sie nicht einstürzt." ärgerte sich ihre Mutter.
"Du kannst doch gut tanzen, du zeigst niemandem was du kannst." sagte ihre Großmutter mit einer Enttäuschung in der Stimme die Maré verlegen machte. "Wenn du nicht zeigst was du kannst unterschätzen dich alle. Du bist doch erwachsen und deine Schüchternheit sollst du ablegen. So kriegst du nie einen richtigen Mann ab. Männer wollen Frauen die zeigen wo es lang geht. Sonst stellt er dich in die Ecke."
"Omi, dann ist das kein Mann für mich, wenn ich ihn führen muss. Und ganz bestimmt lasse ich mich von keinem Mann führen, geschweige denn in die Ecke stellen. Aber ja, ich habe getanzt." sagte Maré bestimmt.
Über Männer, das Fallenlassen, über das Meer konnte und wollte sie nicht mit mit ihrer Großmutter reden.

Sie setzten sich alle nach dem Essen an den langen "Lebenstisch" aus Kirschbaumholz, den Maré's Großvater geschnitzt hatte.
"Jedes Haus braucht einen Herztisch aus Holz und mit viel Leben drumherum." sagte er und stellte den riesigen Tisch mitten ins Wohnzimmer.
Nachdem mir ihre Mutter einen riesigen Ordner mit Unterlagen überreichen wollte zitterten ihre Arme. Maré nahm den Ordner an mich und legte ihn vor sich auf den Tisch.
"Nach deiner Facharztausbildung kommst zurück und übernimmst meine Praxis. Ich kann bald nicht mehr praktizieren. Die Dialyse schwächt mich immer mehr. Ich muss schon zwei Mal pro Woche dahin und brauche fast zwei Tage bis die Müdigkeit aus mir verschwindet." 
"Ich habe mich für die Chirurgie entschieden," sagte Maré leise. 
"Nicht dein Ernst!" schrie sie. "Wofür bestrafst du mich? Ich habe alles für euch Kinder getan!" Ihre Stimme überschlug sich und schnitt wie ein scharfes Messer in Maré's Herzhäute.
"Innere Medizin liegt mir nicht. Kardiologie auch nicht. Ich repariere gerne. Also habe ich die Chirurgie gewählt." versuchte sie sich zu erklären. "Ich will dich und niemanden damit bestrafen, wenn ich nicht das tue was ihr wollt. Es ist mein Leben, also wähle ich die Chirurgie. Ich kann mich immer noch zusätzlich spezialisieren. Machen doch andere Ärzte auch." 
"Nach drei Jahren kommst du zurück wie es sich gehört." sagte sie bestimmt. "Das du dich immer wieder spezialisierst habe ich nie angezweifelt. Das Problem ist nicht deine Intelligenz, das Problem ist dein emotionales Chaos. Beim Lernen brauchtest du nie Hilfe. Aber du bist chaotisch, trotzig und stur. Kind, kriege deine Emotionen in den Griff."
"Ist dir aufgefallen, dass du sehr viel abgenommen hast" sagte Maré leise. "Sie wird mich jetzt anschreien oder oder sogar hinauswerfen." dachte sie und hätte am liebsten alle Worte zurückgenommen. 
"Wenn du meinst, dass die Dialyse ein Zaubermittel ist, dass das Blut reinigt und man ist wie neu, dann hast dich von der Theorie verzaubern lassen. Die Realität ist das hier. Irgendwann kaufe ich meine Klamotten nur noch in der Kinderabteilung." Sie zog an ihrer viel zu weiten Bluse, die weich wie ein Seidentuch über ihren schmalen Schultern hing wie eine distanzierte halbherzige Umarmung.
"Man kann...." weiter kam Maré nicht, denn sie unterbrach sie.
"Ich habe alles getan, was ich tun konnte, aber es reicht nicht. Ich gebe nicht auf, aber ich habe keine Kraft mehr." ihre Stimme klang erschöpft.

Nach zwei Tagen und zwei Nächten umarmte Maré ihre Mutter. Sie fühlte ihren Dialyse-Shunt an ihrer Brust. Sie legte ihren müden Kopf auf Maré's Schulter. Sie waren gleich groß. 160cm Lebensgröße. Maré legte ihre Arme um sie und tief in ihrem Herzen entschloss sie sich heimzukehren. 
"Aber ja, werde ich nach den 4 Jahren zurückkehren." versprach sie.

Als sie ihr Gepäck ins Auto hob und meinen Rucksack anhob, fühlte er sich schwer an, als wäre er mit Backsteine gefüllt. Diese Schwere hielt Maré für ein paar Augenblicke gefangen.

Sie ahnte "die letzte Umarmung" und sah sich bestimmt zehn mal um bevor sie ins Auto stieg und losfuhr.
Der Rückspiegel wurde ihr wichtiger als die Straße vor ihr.

Erst als ihre  Mutter nur noch als einen kleinen Punkt sah, fuhr sie schneller. 

Der Punkt verschwand dann. Für immer.










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